Air Catalan

Es ist etwa 3.00 Uhr in der Nacht, oder am Morgen, wie auch immer man das lieber sehen möchte und Grae, Kev und ich sind im Sidecar. Die Rock-Bar in den Arkaden der Placa Real in Barcelona. Ich habe gerade einen nicht eben freundlichen Disput mit dem uneinsichtigen Türsteher hinter mir, der mir, ebenso Uneinsichtigem, verbietet im Club beim trinken zu rauchen. Oder meinen Drink zum rauchen mit vor die Tür zu nehmen. So genau lässt sich das nicht sagen. Weder jetzt mit genügend Abstand noch direkt nach dem kleinen, unschönen Gekabbel. Was ganz sicher auch dem vorausgegangenen Tag geschuldet ist. Dazu ist es ganz hilfreich zu wissen, wie wir drei eigentlich hier gelandet sind.

Es ist das Ende der ersten, gemeinsamen Tournee von Grae J Wall und Mäkkelä in Katalonien. Eine gute Tour. Knapp zwei Wochen in denen wir zwar kaum was verdient haben aber die ganze Palette von zutiefst deprimierenden bis zu absolut fantastischen Konzerten gespielt haben. Auf der Haben-Seite fantastisches Essen, noch besserer Rotwein und großartige Menschen, die uns mit offenen Armen aufgenommen haben. Für mich, der ich das erste Mal hier bin, zudem ein wahres Wunderland aus mittelalterlichen Städten und exotischer Landschaft.

Als krönendes Highlight und verdienten Ausklang gibt es für uns einen letzten, freien Tag in Barcelona. Das große, aufregende, mysteriöse Barcelona das ich nur aus Büchern, Bildern und Erzählungen kenne. Kev ist wie Grae J aus St Albans in England, lebt allerdings schon seit Jahren in Katalonien. Grae kennt die Stadt von mehreren Besuchen und ist somit auch ein ortskundiger Guide. Was soll ich sagen? Es gibt wenig schöneres als sich nach den Aufregungen einer Tournee in einer der spannendsten und schönsten Metropolen Europas zu verlieren bevor man am nächsten Morgen den Flug nach Hause nimmt.

Unsere Koffer und Instrumente in einem billigen Hostel irgendwo am Passeig de Gracia geparkt und auf die Piste. Kurz die Sagrada Familia von außen gesehen, an irgendwelchen anderen Gaudi Gebäuden vorbeigeschaut und dann eben die wirklich spannenden Spots angefahren. Oder besser: angelaufen. Die Bar Pastis. Bar London. Einen Absinth in der Bar Marsella. Immer wieder mal Tapas. Immer wieder einen Tinto. Oder, wie uns Kev korrigiert, Vi Negre. Ein rasanter Ritt durch die katalonische Bar-Kultur, einer bei dem die Zeit eben auch irrsinnig schnell an einem vorbeirauscht. Und genau das ist jetzt gerade, in diesem Moment, auch mein Problem. Hier im Sidecar, mit seinem nervigen Türsteher.

In spätestens, aller spätestens, zwei Stunden muss ich am Flughafen sein um meinen Air France Flug nach Nürnberg via Paris zu erwischen.

Nicht gut. Gar nicht gut. Weniger wegen meinem mit Tapas und Rotwein bekleckerten, letzten, weißen Hemd, als vielmehr wegen dem weit entfernten Hostel und dem noch weiter entfernten Flughafen. In meinem aktuellen Zustand ein völlig aussichtsloses Unterfangen diese beiden Ziele irgendwie, halbwegs zeitnah zu erreichen. Den Flug verpassen ist mit meiner aktuellen Barschaft von etwa 20 EUR und keiner Kreditkarte, keine Option. Ich habe das Gefühl das ich gerade auf dem allerbesten Weg in große Schwierigkeiten bin, aber glücklicherweise nicht mehr nüchtern genug die Tragweite der Situation zu erfassen. Ebenso glücklicherweise ist Kev sowohl nüchtern als auch praktisch genug veranlagt das alles in die Hand zu nehmen. Kev! Unser Mann in Barca!

Kev ruft ein Taxi. Kev schubst mich die Treppen zum Hostel hoch, zwingt mich unter die Dusche, wirft meine Habseligkeiten in meinen Koffer, zerrt mich aus der Dusche. Kann sein er ist sogar noch mit im Taxi zum Flughafen gefahren. Ich habe keine Ahnung wie ich durch das Security-Gate gekommen bin, genau so wenig wie das mit dem Check-In Schalter funktioniert hat, aber egal - ich bin an Bord. Ich bin auf meinem Platz. Alles ist gut gegangen. So weit erstmal.

Aber eben nur so weit.

Ich stelle fest das es mir in meinem Leben auch schon mal besser gegangen ist. Ich befinde mich in der fiesen Übergangsphase von gerade noch angenehm besoffen zu ganz schlimmem Hangover. Ich kann nur hoffen so schnell wie möglich einzuschlafen und idealerweise auch wirklich in Paris aufzuwachen. Das allerdings, stellt sich heraus, soll nun wirklich nicht mein größtes Problem sein.

Während das Boarding weiter seinen Lauf nimmt, ich bin gerade am wegdämmern, werde ich angesprochen. Ein Mann in Uniform. Freundlich aber bestimmt. Mein Flugbegleiter. Soviel kann ich erkennen.
Mein Flugbegleiter, auch das verstehe ich, möchte sich gerne mit mir unterhalten. Dumm nur das er es ausserhalb des Flugzeugs tun möchte. Das gefällt mir nicht, oder besser, das beunruhigt mich stark. Jetzt, nachdem dieser unmöglich erscheinende Kraftakt den Flug zu erreichen, erfolgreich war, möchte ich ihn nur sehr ungern wieder verlassen. Aber gut, die Machtverhältnisse sind hier und jetzt klar verteilt, Widerstand zwecklos. Ich folge dem freundlich-resoluten Mann also aus der Maschine.

Mir wird die aktuelle Situation erklärt und die einzige Möglichkeit wie wir beide, unter Vermeidung von Schwierigkeiten, da raus kommen. Mein Flugbegleiter stellt zunächst fest das seine Berufserfahrung ihm sagt ich müsse in jüngerer Vergangenheit Alkohol getrunken habe. Viel Alkohol. Erheblich mehr als gut für eine, für alle Beteiligten, konfliktfreie Flugreise ist. Seine Maßnahme, wie er mir erklärt, wird sein, mir auf diesem Flug keinen Alkohol zu servieren. Sollte das für mich in Ordnung gehen und ich keine weiteren Einwände haben, dürfe ich mich gerne wieder auf meinen Platz begeben.

Puh! Hallo? Sehe ich so aus als bräuchte ich noch was? Und nee, klar, völlig d'accord, c'est clair, machen wir so, ich bin dabei. Echt jetzt, lass stecken. Wenn das alles ist, könnten wir tatsächlich noch dicke Freunde werden.

Unsere Unterredung ist beendet, mein Flugbegleiter vertraut auf mein Wort und ich darf mich wieder zu meinem Platz hangeln. Alles gut. Das wars dann endlich. Goodbye Barcelona, es war mir ein spezielles Vergnügen.

Aber leider nein, das Schicksal hat noch eine weitere Prüfung für mich im Ärmel. Noch ist diese Tour nicht an ihrem versöhnlichen Ende angelangt.

Neben mich setzt sich ein, vorsichtig ausgedrückt, stark korpulenter Herr. Weniger vorsichtig ausgedrückt: er ist wirklich dick. Das klingt immerhin freundlicher als fett.

Kaum hat er sich auf seinen Sitz gezwängt fängt er an mich anzustarren. Er starrt lange. Lange genug das sogar ich das mitbekomme. Seinem Gesichtsausdruck nach ist es kein wohlwollendes Starren. Eher eine Mischung aus Ablehnung mit einem leichten Anflug von, tja, wie soll ich sagen, vielleicht Ekel? Abscheu?

Mir ist schon durchaus klar das ich nicht in allerbester Verfassung bin, weder körperlich noch was mein gesamtes Outfit angeht, aber dieses Gestarre ist dann doch einer zu viel. Ich bin der Meinung ich habe mir diesen Sitzplatz hart erarbeitet, musste dafür deutlich zu viele Prüfungen bestehen um jetzt auch noch die nächsten zwei oder drei Stunden angestarrt zu werden.

Ich beschliesse das Problem direkt anzugehen. Was denn gerade das Problem wäre, frage ich. Das Problem, so mein Sitznachbar, wäre, ich sähe richtig scheisse aus. Und genau so würde ich auch riechen. Und das ich das auf diesem Flug ja wohl kaum ändern würde.

Vielleicht hilft ja eine Erklärung? Wir sind schliesslich erwachsene Männer, eine Erklärung kann zumindest nicht schaden, hilft ja vielleicht sogar die gerade eher schlechten Vibes zu entschärfen. Ich erkläre ihm die gesamte Lage. Ich bin Musiker, die Tour, der letzte Tag, Sie können sich ja vielleicht vorstellen das man da noch gerne mal etwas feiert. Und dann dieses tolle Barcelona mit all seinen Verlockungen, es ist eben so passiert wie es passiert ist. Und dann kommt noch dazu, ich bin Finne. Das ist ja auch was genetisches, klar, ein genetisches Problem ist das. Es sind ja nicht alle Finnen immer dauernd besoffen, aber wenn es dann mal, gerade in so einer Situation und so, dann halt eben auch richtig. Kein Amateur-Rausch, wenn dann richtig und klar, tut mir auch leid das er das jetzt ausbaden muß, wobei baden ja vielleicht gerade jetzt eher nötig als der richtige Ausdruck wäre.

Und dann, unerwarteterweise fängt der dicke Mann an zu grinsen. Der dicke Mann legt mir kumpelhaft den Arm über die Schulter und wird auf einmal ganz freundlich. Ich kenn das, Mann. Ich bin auch Finne. Ich bin Koch in Barcelona und auf dem Weg nach Hause. Du brauchst jetzt einfach eine Runde Schlaf. Ruh dich aus und ich weck Dich in Paris. Alles cool.